Freitag, 28. August 2015

"Über die Beringstraße schwimmen? Ach, das haben wir schon hinter uns."

Nach ein paar Tagen auf der Insel Olchon am Baikalsee, wo die schlimmsten Waldbrände der Geschichte die Sonne verschleiern und die Luft nach Rauch schmeckt (darüber schreibe ich noch mehr), war ich gerade wieder in Irkutsk angekommen. Dort musste ich wegen eines größeren, die halbe Stadt lahmlegenden Unfalls sehr lange auf ein Taxi zu meiner Leihgroßmutter Tamara (meine herzliche und wunderbar kochende AirBnB-Gastgeberin) warten. Ich setzte mich daher in den Wartesaal des Hotels, wo ich die Rezeptionistin gebeten hatte, das Taxi zu rufen.

Auf dem Ledersofa an meiner Sitzecke saßen auch eine blonde, 30-40 Jahre alte Frau und ein schlafender Mann, der bald anfing, zu schnarchen. Beide sahen nicht aus wie Russen. Auch sie warteten vergeblich auf ein Taxi. Als die Frau mit der Rezeptionistin über ihr Taxi sprach, hörte ich den fremden Akzent in ihrem guten Russisch. Ich fragte sie auf Russisch, ob sie auch schon so lange auf ihr Taxi warteten, und so kamen wir ins Gespräch. Es stellte sich raus, dass sie New Yorkerin ist, Verwandte bei Genf hat und sogar in Denzlingen bei Freiburg (wo ich die ersten zwei Lebensjahre verbracht habe). Ihr Kompanion hingegen stamme aus Chile. Die Sprache wechselte schnell auf Englisch. Zwischenzeitlich wacht ihr Schwimmpartner auf, er sagt aber die ganze Zeit kaum etwas.

Nach ein bisschen Smalltalk - und nachdem sie mich nach meiner Reise ausgefragt hatte, fragte ich, was sie denn Irkutsk machen. Ihre Antwort: "Wir warten auf das Taxi zum Flughafen. Wir fliegen nach Kamtschatka." Danach ging es ungefähr so weiter:
Ich: "Kamtschatka - Vulkane und Bären? Da habt ihr hoffentlich genug Zeit dabei - ich wollte da auch ursprünglich hin, aber man sagt, dort seien eine oder sogar zwei Wochen eigentlich zu wenig, weil es so riesig sei und man einige Zeit brauche für intensivere Touren."
Sie: "Wir haben nur eine Woche. Wir wollen von Kamtschatka auf die erste Kurileninsel schwimmen."
Ich: "Schwimmen?? Na viel Spaß bei den Wassertemperaturen. Das ist ja auch ein ganz schönes Stück."
Sie: "Ja, das sind [soundsoviele] Kilometer."
Ich: "Ich muss mir das grad mal auf der Karte vergegenwärtigen... Ihr schwimmt also über die 'Erste Kurilen-Straße'?"
Die erste Kurilenstraße zwischen Kamtschatka und der ersten Kurileninsel.

Sie: "Ja, genau."
Ich: "Wie kommt man denn auf die Idee, so was zu machen? Ich meine, Respekt, aber ich kann mir angenehmere Sachen vorstellen, als in eiskaltem Wasser und bei zum Teil riesigen Wellen durch den Pazifik zu schwimmen."
Sie: "Ich glaube, uns ist einfach keine weitere Meeresenge mehr eingefallen, durch die wir noch nicht geschwommen sind."
Ich (lachend): "Ach so. Dann schwimmt doch gleich mal über die Beringstraße."
Sie: "Ja, die haben wir schon hinter uns."
Ich: "Ihr seid im Ernst über die Beringstraße geschwommen? Darf man das überhaupt? Da braucht man doch ein spezielles Visa, um überhaupt nach Tschukotka (Region im äußersten Nordosten) zu kommen."
Er: "Ja, der FSB (Russischer Geheimdienst stellt einem das aus, das ist nicht so schwer."
Rezeptionistin auf Russisch: "Ihr Taxi ist da."
Ich (stehe auf und ziehe meinen Rucksack an): "Das ist ja hochinteressant. Ihr seid bestimmt weltberühmt und ich bemerke das nicht mal. Wonach muss ich denn googeln, um mehr über euch zu erfahren?"
Sie (zögert, als sei es ihr peinlich): "Du kannst nach "Swim Bering Strait" googeln."

Wir verabschieden uns, ich wünsche viel Glück, gehe verwundert aus dem Hotel und setze mich in das Taxi, das wegen des Unfalls eine halbe Stunde braucht, um 3 Kilometer durch die Stadt zu fahren  und dabei mehrfach die Autostraße verlässt, um halt irgendwo durch Schleichwege schneller voranzukommen.

Später google ich und finde gleich mehrere Leute, die über die Beringstraße geschwommen sind. Die erste, und an die konnte ich mich dann sogar wieder erinnern, war Lynne Cox, die 1987 auch ein politisches Zeichen setzte. Die wäre aber heute schon zu alt. Es scheint sich daher bei den beiden Eisschwimmern um den Chilenen Cristian Vergara, bei der Frau um Melissa O'Reilly zu handeln. Hier gibt es noch einen Artikel, in dem beide Schwimmer genannt werden.

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