Freitag, 28. August 2015

Baikal on fire - Umweltkatastrophe neben Traumstrand

Noch einen Tag in Irkutsk, dann geht es weiter. Ich habe mich erkältet und leide so vor mich hin. Draußen regnet es in Strömen, ich habe keine Jacke mitgenommen. Bei meiner letzten größeren Russlandreise habe ich sie nicht einmal gebraucht, fast überall war es so heiß, dass man am liebsten wie die Russen oben ohne rumgelaufen wäre. Dieses Mal hätte mir so eine Jacke schon mehrfach geholfen. Ich überlege, heute in Irkutsk noch eine zu kaufen.
Der Regen ist gut, denn hier gibt es überall hier herbe Waldbrände von historischem Ausmaß. Das erste Mal in meinem Leben bin ich so nah dran an einer Umweltkatastrophe. Es gibt in Sibirien immer wieder mal kleinere oder größere "natürliche" Waldbrände. Dieses Jahr war aber trocken und heiß wie lang nicht, es hat seit Langem nicht geregnet. Die Waldbrände dieses Jahr sind zudem nicht "natürlich", sondern wurden von nachlässigen Menschen verursacht.


Quelle: Siberian Times (http://goo.gl/0t1Tti)
Die Feuer habe ich selbst nie gesehen, aber selbst hunderte Kilometer weiter hier in Irkutsk war die Luft bis zum heutigen Regen voller Rauch. Es roch überall so, als sei man gerade an einem Lagerfeuer, die Sicht war schlecht. Zunächst dachte ich, das sei Großstadt-Smog. Doch als ich dann die spontane Gelegenheit bekam, mit dem ziemlich nationalistischen Freund meiner Gastgeberin Richtung Baikalsee aufzubrechen und der "Smog" außerhalb der Stadt sogar schlimmer wurde, fragte ich ihn, warum denn die Sicht so schlecht sei. Der Fahrer des alten japanischen Kleinlasters, beladen mit Obst, Dachziegeln, anderen Baustoffen und meinem türkisen Koffer (:)) klärte mich auf, dass das von den Waldbränden käme, diese seien noch nie so krass gewesen wie in diesem Jahr.
Mein "Taxi" zur Fähre auf die Baikal-Insel Olchon 
Rauchige Luft von den Waldbränden verschleiert die Sicht auf die grüne Steppe und die zahlreichen frei herumlaufenden Kühe und Pferde.
Im Rauch versinkende Pferdeherde
Je näher wir dem Baikalsee kamen, desto rauchiger wurde die Luft, desto schlechter die Sicht. Hin und wieder mussten wir stark bremsen (die Geräusche und das durchs Bremsen verursachte extrem Ruckeln dieses alten Lasters sind eine gute Nervenprobe), weil eine(s) der in der grüngelben Steppe überall frei herumlaufenden Kühe oder Pferde plötzlich über die Straße laufen wollte. Die lassen es drauf ankommen... :)

Irgendwann kamen wir in die Gegend der Burjaten, einem Mongolenstamm, der einst von der Mongolei hierher übersiedelte und der mit knapp einer halben Million Menschen die größte Minderheit Sibiriens darstellt. Die Burjaten wohnen in Siedlungen in der Steppe aus kleinen Holzhäusern, meist ohne fließendes Wasser mit "Gartenklo" und einem Waschbecken, bei dem man über einen großen Löffel aus einem großen Bottich Wasser in einen Kasten über dem Wasserhahnen schöpft. Dreht man den Hahnen auf, läuft das Wasser aus dem Kasten ab, ähnlich dem Wasserkasten bei der Klospülung. Ist der Kasten leer, muss man von Hand nachschöpfen.

Damit die Burjaten (und die Touristen, die wie ich in burjatischen Ferienhäuschen übernachten) immer frisches Wasser haben, fährt regelmäßig ein rostiger Laster mit einem riesigen Wassertank von Haus zu Haus und "füllt nach". Ob die Gartenklos gut für das Wasser im Baikal sind, will ich mal bezweifeln.

Die Burjaten gelten als gute Ringer, züchten Vieh und Pferde und praktizieren zum Teil noch Schamanismus, was gerade auf der Baikal-Insel Olchon auch einige esoterisch angehauchte Touristen anzieht.
Zwei burjatische Frauen
Ein burjatisches Dorf
Ein Gartenklo

Burjatische Häuser

Ein besonders schönes Haus eines Burjaten
Ein "Freiluftwaschbecken" mit Schöpflöffel (rechts, grün) und Wasserkasten (orange, links) 

250 Kilometer entfernt von Irkutsk kamen wir dann nach Sarchjuta (evt. falsch geschrieben), dem letzten kleinen Ort auf dem Festland, von dem aus man per Fähre auf die Insel Olchon übersetzen kann.

"Stalin, Freund, Genosse" und die undankbaren Polen und Tschechen
Mein Fahrer Schenija hatte mich derweil in allen möglichen geschichtsrevisionistischen Varianten "aufgeklärt". Da er nicht nur mein Fahrer war, sondern auch noch ein sehr starker, 28 Jahre alter Extremsportler und da er mir auch von irgendwelchen Schlägereien erzählte hatte (und außerdem, weil ich glaube, dass es bei solchen Leuten eh nichts bringt), hielt ich mich mit Kommentaren zurück und nickte nur ab oder sagte gar nichts, während er mir erklärte, dass Stalin gut gewesen sei, dass die Amerikaner sich das mit den Gulags ausgedacht hätten, um Russland zu schaden, und dass die Sowjetunion in der Nachkriegszeit nur deshalb so eine schlimme Hungersnot erlebt hatte, weil sie - gutmütig wie Stalin nun mal war - alles, was sie hatten, Richtung Westen schickten, um ihre Freunde in der DDR, Polen, der Tschechoslowakei etc. zu ernähren. Daher sei deren undankbare Haltung heute gegenüber Russland ein Hohn, denn man habe diesen Völkern geradezu selbstlos geholfen.

Auch heute leide Russland vor allem darunter, dass die Amerikaner weiter direkt wirtschaftlich und indirekt militärisch Krieg gegen sie führten (ok, das kann man ja zumindest diskutieren). Das zwinge Russland dazu, so viel ins Militär zu investieren, um sich entsprechend schützen zu können. Dieses Geld sei dann nicht da für die Leute. Aber generell sei das Meiste gut heute in Russland, die 90er waren schlimm, aber die sind ja nun vorbei. Es sei alles viel stabiler und besser geworden (und wenn nicht, dann liegt das wahrscheinlich an den Amerikanern).

Die abstumpfenden Luxus-Frauen
Nur die Frauen, die würden sich nur noch für Luxus und schicke Klamotten interessieren, sie würden völlig abstumpfen und wüssten nichts von der Welt außer der neuesten Mode und wie man als Model posiert (auch das kann man in der Tat, diskutieren, denn wenn man durch die russischen sozialen Netzwerke klickt, haben fast alle Frauen irgendwelche "professionell" gemachten künstlichen model-artigen Fotos - ob deshalb diese Frauen aber gleichzeitig in anderen Bereichen des Lebens abstumpfen, weiß ich nicht).

Autoprolls aller Länder, vereinigt euch!
Gleichzeitig gebe es zu viele Männer, deren höchste Priorität es sei, ein möglichst schnelles Auto zu fahren und die dann dafür Unsummen ausgeben, während sie noch in einer Baracke lebten oder wenn die Familie das Geld viel mehr bräuchte. Und ja, die Zahl hiesiger Autoprolls (Männer mit oft getunten Autos, die an der Ampel schön laut Gas geben) kann sich in der Tat mit Zürich oder München und den dortigen Sportwagenprolls messen - nichts gegen einen Sportwagen, aber mir ist kaum etwas so zuwider wie die rücksichtslosen gehirnamputierten Idioten, die sich für kleine Rennfahrer halten und allen mitteilen wollen, wie toll sie sind, indem sie mit Vollgas an der Ampel durchstarten und so unnötig Benzin in die Luft blasen und alle Leute in der Umgebung aufschrecken. Sie rauben mir in Zürich den Schlaf, weshalb ich mir manchmal in einer sadistischen Phase einen Automat wünsche, der die Lautstärke der anfahrenden Autos misst und bei Überschreitung einer Schmerzgrenze automatisch Nägel aus der Straße in die Reifen schießen lässt...

Aber gut, zurück zum Baikalsee. Nachdem ich von allen Ansichten meines sportlichen, frisch geschiedenen Fahrers überzeugt war, kamen wir wie gesagt in dieser Turbasa (touristischen Basis) von Sarchiuta an, wo der Fahrer seine Ladung abliefern sollte. Wir bekamen ein riesiges, schweres Abendessen serviert und durften anschließend in einem kleinen Holzhaus mit zwei Betten übernachtet. Er fuhr am nächsten Tag zurück und brachte mich noch zur Fähre auf die Insel Olchon. Da der Rauch an diesem Tag noch stärker geworden war, sah man nicht mal mehr die Umrisse der vielleicht 1-2 Kilometer entfernten Insel vom anderen Ufer.
Die "Turbasa"
Fähreanlegestelle - wegen des Rauchs kann man nur ganz schwach im Hintergrund noch die Umrisse der Insel Olchon sehen.

Auf Olchon selbst erwartet einen erst mal: Sand, verbranntes Gras, Müll und ausgelaugte Kühe, die im Müll wühlen, weil das Gras verdorrt ist.
Auf der Insel angekommen, sollte ich eigentlich eine(n) Nikita anrufen, der mir eine Tour auf der Insel organisieren sollte. Der/die war aber immer besetzt. In der Zwischenzeit meldete sich eine Couchsurferin, die in Chuschyr, der einzigen größeren Siedlung auf Olchon als Touristenführerin arbeitet und anbot, mit ihren Freunden und ihr einen Inselspaziergang zu machen. Da sie Englisch und sogar Deutsch sprach (Auslandssemester in D), erschien mir das deutlich interessanter als die Standardtour zu buchen und ich machte mich auf Richtung Chuschyr. Da schon keine Busse mehr fuhren (es war gerade mal 10.30 Uhr, aber anscheinend muss man diese Busse früh buchen), wandte ich mich an eine Frau mittleren Alters in einem der Touristenzelte am müllübersäten (wohlgemerkt in einem Naturschutzgebiet!) Anlegepunkt der Fähre, wo die Kühe durch den Müll wühlten, weil das Gras längst vertrocknet ist. Sie empfahl mir, es per Trampen zu versuchen. Dort am Hügel stehe ein (uralter) Kleinbus der Elektrizitätswerke, man könne den Elektriker, der grad die Strommasten kontrolliert, ja einfach mal fragen, ob er einen mit nach Chuschyr nehmen würden.

Der nette, wortkarge Elektriker, der mich in seinem Bus mit auf seine Strommastinspektion (und nach Chuschyr) nahm
Gesagt, getan. Über Stock und Stein, auf und ab, und für einen Spottpreis wackelten wir in dem alten russischen Elektrikerbus ohne Rückspiegel und mit scheinbar unzerbrechlichen Achsen (Video) auf Feldwegen von Dorf zu Dorf und Strommast-Inspektion zu Strommast-Inspektion bis nach Chuschyr. Auf dem Weg dorthin sammelten wir noch eine dreiköpfige Familie und einen weiteren Elektriker auf.

In Chuschyr zeigten mir die Couchsurfing-Touristenführer den berühmten Skala Schamanka (Schamanenfelsen), einen selbst im Rauch wunderschönen Felsen mit einem erstaunlich runden kleinen Strand nebendran.
Der Schamanenfelsen, das Wahrzeichen Olchons und heilige Stätte für die Schamanisten auf der Insel

Die "Schtolpy" - jeder einzelne bedeutet etwas anderes (Geld, Liebe und was man sich sonst noch so wünscht)
Auch hier glaubt man, dass man sich einen Wunsch erfüllen kann, indem man Geld liegen lässt. In diesem Fall lässt man auf dem Felsen vor der Schtolpy zu dem Thema, das einem am Herzen liegt (Geld, Liebe etc.), eine Münze liegen und wünscht sich dabei etwas.

Auch in Nähe des Heiligtums laufen überall Kühe frei herum

Die Felsen haben zum Teil schöne feurige Rottöne
Danach wanderten wir einen neun Kilometer langen, traumhaften Sandstrand mit mehreren kleinen mobilen Banjas (russische Sauna) entlang bis zum nächsten Dorf. Beeindruckend ist, dass alles aussieht, als sei man an einem Meer (auch kein Wunder bei einem 673 Kilometer langen und bis zu 82 Kilometer breiten See), doch das Wasser ist Süßwasser und war bis vor kurzem sogar noch trinkbar. Da zu viele Phosphate von Menschenabfällen und Abwässern in den Baikalsee geleitet werden, wachsen angeblich irgendwelche Wasserpflanzen, die das Wasser vergiften. Daher solle man kein Wasser vom Hahnen trinken, meinte die Gastgeberin der Turbasa.

In jedem Fall ist es gut genug, sich den Sand von den Füßen und Händen zu waschen, ohne dass danach alles salzig wird. Das hat mich jedes Mal wieder überrascht. Auch die kleinen, flachen Steine sind an einem normalen Sandstrand eher unüblich, hier gibt es sie zuhauf und man kann wunderbar Steine springen lassen. Traurig ist, dass überall mal mehr, mal weniger Müll rumliegt - generell ist der allgegenwärtige Müll für mich persönlich neben den verqueren politischen und historischen Ansichten mancher Leute das Schmerzhafteste in Russland.

Da die Sonne fast vollständig vom Rauch verdeckt wurde, war es entsprechend kalt - zu kalt für mich zum Baden, es badeten aber durchaus einige der wenigen Touristen (es war die letzte Woche der russischen Sommersaison und der Rauch hat bestimmt viele Spontan-Urlauber verschreckt).

Mir ist's zum Baden eindeutig zu kalt (sowohl Wasser als auch Außentemperatur)...

...aber mit mobiler Minisauna lässt sich das kalte Wasser sicher besser ertragen.

Mobile Sauna von Nahem

Eingang zur mobilen Sauna

Irgendein unrasierter Penner

Leute campen wild in der Natur in Strandnähe
Trotz Naturschutzgebiet: Der Müll liegt überall herum, und selbst an den Orten, wo er sein sollte, wird er zu selten abgeholt. Das führt dazu, dass Kühe ihn durchwühlen und verteilen oder der Wind ihn wegbläst. 
Der Traumstrand - durch den Rauch in der Luft sieht er aus, als hätte ich mit irgendeinem kitschigen Instagram-Filter fotografiert.
So sieht die Sonne aus, wenn Rauch sie verschleiert.
Über eine sandige Straße gingen wir anschließend zurück nach Chuschir, dort aßen wir etwas. Ich probierte neben meinem Lieblingsreisgericht "Plov" (ein simpler, aber leckerer usbekischer Curry-Reis mit kleinen Gemüse- und Fleischstücken) auch "Posy", eine Art burjatische Maultaschen, in die man zunächst ein Loch macht, um den dann auslaufenden Saft zu schlürfen.

Posy

Anschließend gingen wir mit Alkohol, Würstchen und Grillzeug ausgerüstet an den Strand, um dort zu grillen und den Geburtstag einer der Führerinnen zu feiern, eine bald 25-Jährige, ausgeflippte und zu emotionalen Ausbrüchen tendierende Dame, die die ganze Zeit bedauerte, dass sie nicht mit ihrem Freund feiern könne, der ihr ja letztes Jahr in Hanoi einen so schönen Geburtstag bereitet hätte. Jewgenij, einer der Gruppe, machte komplett eigenhändig das Feuer und grillte die Würstchen. Anschließend fuhr er immer mal wieder eines der Mädchen auf seinem "Quad" (no comment) spazieren. Es wurde sehr laut und sehr unterhaltsam. Und sehr kalt. Irgendwann gegen 2:30 Uhr hielten wir es dann nicht mehr aus und gingen zurück nach Chuschyr in unsere Unterkünfte. Ich hatte mir dort spontan noch nachmittags ein Zimmer in einem B&B gemietet.

Am nächsten Tag trafen wir uns noch mal mit den Touristenführern zum verkaterten Mittagessen, anschließend versuchte ich, die Insel wieder Richtung Turbasa zu verlassen. Ich hatte eigentlich nicht geplant, über Nacht auf der Insel zu bleiben und entsprechend keine Kleidung oder genug Geld für mehrere Tage mitgenommen. Auf der Insel konnte ich zudem keinen funktionierenden Geldautomaten finden, mein Bargeld ging zur Neige, und auf meiner SIM-Karte waren nur noch etwa 50 Rubel.

Leider waren schon alle Busse zur Fähre für heute ausgebucht - was ich erstaunlich fand, da es sich doch um ein beliebtes Touristenziel handelt. Mir blieb also auch nichts anderes übrig, als mich wieder an die Straße zu stellen und zu trampen. Irgendwann erbarmte sich ein faltiger, vom harten Arbeiten und Kettenrauchen gezeichneter Vater mit seinem strohblonden, engelsgleichen Sohn auf dem Rücksitz eines ebenso alten Kleinbusses wie am Vortag derjenige der Elektriker. Der Vater raste kamikazemäßig über die holprige Straße, der man nur noch an wenigen Stellen ansehen konnte, dass es einmal eine Asphaltstraße gewesen war. Auf dem Weg sammelte er noch 3 weitere Leute auf, denen es ähnlich ergangen war wie mir mit dem Bus. Die ganze Zeit rauchte er, im Auto roch es sehr stark nach Benzin.

Nachdem wir an der Fähre angekommen waren, setzte ich aufs andere Ufer über und rief dort die Turbasa noch mal an. Weronika, die unglaublich nette "Administrator"(in), meinte, es gäbe noch einen Bus heute von dort nach Irkutsk (wohin ich zurückwollte) um 19 Uhr, und dort seien noch Plätze frei. Ich solle in das Geschäft "Baikal" in der So-und-so-Straße gehen und dort fragen und auf sie verweisen. Dort hieß es dann aber, es gäbe doch kein Ticket mehr. Ich hatte also die Wahl zwischen noch mal Autostopp bis nach Irkutsk (250 km) oder noch eine Nacht in der Turbasa und dann ein Bus um 13.00 am nächsten Tag. Zu dem Zeitpunkt war ich schon sehr müde und entschied , dann halt noch eine Nacht "im Rauch", aber dafür in der Stille des hier felsigen Seeufers zu verbringen.

In der Turbasa lernte ich dann schnell Maksim, Natalia und ein paar andere Leute kennen, die hier einen Reiturlaub (z.T. mit Kind) verbrachten. Sie luden mich ein, mit ihnen am Abend "Sagadka" zu spielen, eine Art "Black Stories", wo eine Person eine Szene beschreibt, und die anderen dann mit Ja/Nein-Fragen herausfinden müssen, was passiert ist (z.B. "In einem Flughafenhangar hat sich ein Lilliputaner erhängt. Wie ist das passiert?" (Lösung: Er hat Schnee zusammengeschaufelt, ist dann auf einen Schneeberg geklettert, von wo aus er sich eine Schlinge um den Hals band und diese an einem Rohr über ihm befestigte. Dann wartete er, bis der Schnee geschmolzen war.) Eine wirklich gute Russisch-Übung... :)  Polina, die mit ihrem Sohn und Mann in London lebt, und Maksim, der bei Google in Moskau arbeitet, halfen mir netterweise hin und wieder mit Englisch aus. Lidija, eine Moskauerin, die mehrfach in Deutschland gewesen war, sogar ab und zu mit Deutsch.

Am nächsten Tag kam dann tatsächlich der Kleinbus, der uns vier Stunden lang nach Irkutsk wackelte. Der Busfahrer beschwerte sich lautstark darüber, dass Leute so große Koffer hätten, er sei schließlich nur ein Bus und kein Lastwagen - als sei es nicht klar, dass man einige Koffer wird transportieren müssen, wenn man Leute von einem Tourismusziel abholt... Im Bus saßen auch die in England lebende Polina und ihr Sohn. Als ich ihr sagte, wie verwundert ich immer sei, dass diese zum Teil uralten Autos hier diese schlaglochübersäten Straßen aushalten, meinte sie: "Russland ist so groß, da ist es unmöglich, überall gute Straßen zu gewährleisten. Statt in die Straßen wird daher in die Stabilität der Autos investiert. Die Evolution verläuft halt überall anders." :)

"Über die Beringstraße schwimmen? Ach, das haben wir schon hinter uns."

Nach ein paar Tagen auf der Insel Olchon am Baikalsee, wo die schlimmsten Waldbrände der Geschichte die Sonne verschleiern und die Luft nach Rauch schmeckt (darüber schreibe ich noch mehr), war ich gerade wieder in Irkutsk angekommen. Dort musste ich wegen eines größeren, die halbe Stadt lahmlegenden Unfalls sehr lange auf ein Taxi zu meiner Leihgroßmutter Tamara (meine herzliche und wunderbar kochende AirBnB-Gastgeberin) warten. Ich setzte mich daher in den Wartesaal des Hotels, wo ich die Rezeptionistin gebeten hatte, das Taxi zu rufen.

Auf dem Ledersofa an meiner Sitzecke saßen auch eine blonde, 30-40 Jahre alte Frau und ein schlafender Mann, der bald anfing, zu schnarchen. Beide sahen nicht aus wie Russen. Auch sie warteten vergeblich auf ein Taxi. Als die Frau mit der Rezeptionistin über ihr Taxi sprach, hörte ich den fremden Akzent in ihrem guten Russisch. Ich fragte sie auf Russisch, ob sie auch schon so lange auf ihr Taxi warteten, und so kamen wir ins Gespräch. Es stellte sich raus, dass sie New Yorkerin ist, Verwandte bei Genf hat und sogar in Denzlingen bei Freiburg (wo ich die ersten zwei Lebensjahre verbracht habe). Ihr Kompanion hingegen stamme aus Chile. Die Sprache wechselte schnell auf Englisch. Zwischenzeitlich wacht ihr Schwimmpartner auf, er sagt aber die ganze Zeit kaum etwas.

Nach ein bisschen Smalltalk - und nachdem sie mich nach meiner Reise ausgefragt hatte, fragte ich, was sie denn Irkutsk machen. Ihre Antwort: "Wir warten auf das Taxi zum Flughafen. Wir fliegen nach Kamtschatka." Danach ging es ungefähr so weiter:
Ich: "Kamtschatka - Vulkane und Bären? Da habt ihr hoffentlich genug Zeit dabei - ich wollte da auch ursprünglich hin, aber man sagt, dort seien eine oder sogar zwei Wochen eigentlich zu wenig, weil es so riesig sei und man einige Zeit brauche für intensivere Touren."
Sie: "Wir haben nur eine Woche. Wir wollen von Kamtschatka auf die erste Kurileninsel schwimmen."
Ich: "Schwimmen?? Na viel Spaß bei den Wassertemperaturen. Das ist ja auch ein ganz schönes Stück."
Sie: "Ja, das sind [soundsoviele] Kilometer."
Ich: "Ich muss mir das grad mal auf der Karte vergegenwärtigen... Ihr schwimmt also über die 'Erste Kurilen-Straße'?"
Die erste Kurilenstraße zwischen Kamtschatka und der ersten Kurileninsel.

Sie: "Ja, genau."
Ich: "Wie kommt man denn auf die Idee, so was zu machen? Ich meine, Respekt, aber ich kann mir angenehmere Sachen vorstellen, als in eiskaltem Wasser und bei zum Teil riesigen Wellen durch den Pazifik zu schwimmen."
Sie: "Ich glaube, uns ist einfach keine weitere Meeresenge mehr eingefallen, durch die wir noch nicht geschwommen sind."
Ich (lachend): "Ach so. Dann schwimmt doch gleich mal über die Beringstraße."
Sie: "Ja, die haben wir schon hinter uns."
Ich: "Ihr seid im Ernst über die Beringstraße geschwommen? Darf man das überhaupt? Da braucht man doch ein spezielles Visa, um überhaupt nach Tschukotka (Region im äußersten Nordosten) zu kommen."
Er: "Ja, der FSB (Russischer Geheimdienst stellt einem das aus, das ist nicht so schwer."
Rezeptionistin auf Russisch: "Ihr Taxi ist da."
Ich (stehe auf und ziehe meinen Rucksack an): "Das ist ja hochinteressant. Ihr seid bestimmt weltberühmt und ich bemerke das nicht mal. Wonach muss ich denn googeln, um mehr über euch zu erfahren?"
Sie (zögert, als sei es ihr peinlich): "Du kannst nach "Swim Bering Strait" googeln."

Wir verabschieden uns, ich wünsche viel Glück, gehe verwundert aus dem Hotel und setze mich in das Taxi, das wegen des Unfalls eine halbe Stunde braucht, um 3 Kilometer durch die Stadt zu fahren  und dabei mehrfach die Autostraße verlässt, um halt irgendwo durch Schleichwege schneller voranzukommen.

Später google ich und finde gleich mehrere Leute, die über die Beringstraße geschwommen sind. Die erste, und an die konnte ich mich dann sogar wieder erinnern, war Lynne Cox, die 1987 auch ein politisches Zeichen setzte. Die wäre aber heute schon zu alt. Es scheint sich daher bei den beiden Eisschwimmern um den Chilenen Cristian Vergara, bei der Frau um Melissa O'Reilly zu handeln. Hier gibt es noch einen Artikel, in dem beide Schwimmer genannt werden.

Montag, 24. August 2015

"In drei Monaten war er vielleicht zwei Tage nüchtern."

Im letzten Post habe ich gesagt, dass ich ein paar der Frauenschicksale hier aufschreiben möchte. Schicksal Nummer 2: Dieses Mal geht es um Walerija. Auch mit ihr komme ich tiefer ins Gespräch, als wir über Gefängnisse reden. Der Mann ihrer Tante sei auch im Gefängnis, weil er - interessanterweise wie bei Elisaweta - bei einer Schlägerei jemanden so stark gehauen hat, dass der nicht mehr aufwachte.

Heruntergekommene Siedlung auf Sachalin mitten zwischen wunderschönen grünen Bergen und dem Meer (hat nichts mit der Geschichte zu tun).
Ich möchte übrigens mit diesen traurigen Geschichten auf keinen Fall Russland schlechtreden. Es gibt auch in Deutschland oder der Schweiz genügend Fälle von alkoholisierten Männern, häuslicher Gewalt und so weiter, und ich kenne auch aus meinem engeren Kreis einige üble Geschichten. Nur verkehre ich in meinen Heimatländern weniger in Segmenten, die anfälliger für Gewalt, Not und Gefängnis sind. Außerdem kann ich diese Geschichten hier schlecht erzählen, ohne dass die Gefahr besteht, dass man jemanden identifizieren könnte.

Auch hier habe ich einige für die Essenz der Geschichte unwichtige Details geändert, damit keine Gefahr besteht, dass doch jemand herausfindet, um wen es geht.

Walerija hat seit ein paar Jahren einen guten Job in Chabarowsk und wirkt sehr aufgeweckt, sie spricht sogar fantastisches Spanisch. Eigentlich stammt sie aus einer kleinen Stadt ganz im Norden Russlands. Ihren Sohn hat sie in jungem Alter mit einer Affäre gezeugt, die Affäre wollte von vornherein nichts Langfristiges, und so war Walerija mit 20 alleinerziehende Mutter, musste ihr Studium unterbrechen und arbeiten, um Geld zu verdienen. Das Studium hat sie später abgeschlossen und einen zweiten Mann kennengelernt, mit dem sie dann mehrere Jahre zusammen war, seit ein paar Jahren aber sei es eine On- and Off-Beziehung. Sie hat sichtlich zugenommen und ist heute kugelrund. Sie befürchtet, das sei der Grund, weshalb er sich zurückziehe.

Ihr Vater war ein großer, starker Mann und Eishockeyprofi. Er soll ein lebenslustiger und umgänglicher Mann in seinen jungen Jahren gewesen sein. Als seine Profikarriere zu Ende geht, bekommt er einen guten Job als Jugendtrainer angeboten. Aus einem für Walerija unbekannten Grund lehnt er diesen Job ab, und die große Leere nach den Jahren des Ruhms trifft ihn hart. Er beginnt zu trinken. Immer mehr und immer wieder. Und erreicht regelmäßig Zustände, bei denen er am nächsten Tag nicht mehr weiß, was er gestern getan hat. "Er hat am nächsten Morgen oft gesagt: 'Ich kann mich nicht mehr daran erinnern, was gestern war, also reden wir nicht darüber.'"

An den meisten der alten Holzhäuser hängen Zettel, die den Inhaber darüber informieren, dass er demnächst "umgesiedelt" werde inklusive Adresse seines neues Hauses (hat auch nichts mit der Geschichte zu tun, aber sonst wäre es so eine Textwüste...:)). [Das ist keine Russlandkritik, denn das gab und gibt es in Deutschland ebenfalls zuhauf - derzeit vor allem in den Braunkohleabbaugebieten, wo ganze Dörfer plattgemacht werden]
"Ich habe mal die Tage gezählt, an denen er nüchtern war. In drei Monaten waren das zwei Tage", erinnert sie sich. Und wenn er trank, dann wurde er oft wütend und aggressiv. Er wurde dann handgreiflich und verprügelte die einzige Tochter, beschimpfte sie, sie sei ein Fluch, eigentlich habe er doch einen Jungen gewollt und so weiter. Die Mutter habe er allerdings nie angerührt, immer nur die Tochter.

"Warum habt ihr nicht die Polizei geholt?", frage ich. "Die Polizei hält sich bei Familienstreitigkeiten lieber raus. Und das Maximum, das sie machen können in so einem Fall, ist, den Mann 48 Stunden lang auf der Wache festzuhalten. Wir hatten auch Angst, dass er von der Wache dann noch wütender zurückkommt. Wenn man mehr will, muss man vor Gericht gehen, und das wollten wir nicht," antwortet sie.

Walerija habe immer wieder versucht, die Mutter dazu zu bringen, sich vom Vater scheiden zu lassen, ganz besonders, als Walerija dann schwanger war und den Sohn mangels Mann und eigener Wohnung zunächst bei den Eltern im Haus aufziehen wollte - natürlich ohne den Alkoholiker-Vater. Sie wollte auf keinen Fall, dass ihr eigener Sohn so etwas erleben müsse. Die Mutter aber habe dem Vater immer und immer wieder eine letzte Chance geben wollen. "Es gab 27 Billionen 'letzte Chancen'!"

Der Vater habe durch sein aggressives Verhalten und dauernde Trunkenheit alle seine Freunde verloren. Ob die Mutter sich dann letztlich scheiden ließ, habe ich vergessen.

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"Gefängnis" heißt auf Russisch übrigens "Tjurma" (wahrscheinlich wie viele andere russische Wörter aus dem Deutschen von "Turm" kopiert). Ich stelle mir da immer einen großen Turm vor, in dem da ganz unten dann angekettet ein traurig dreinblickender Verbrecher auf dem Stroh hockt.

Sonntag, 23. August 2015

"Mein künftiger Mann sitzt im Gefängnis"

Was mich hier in Russland irgendwie vielmehr umtreibt als Architektur oder Landschaften, sind die unzähligen Geschichten der Leute, die ich getroffen habe. Viele Geschichten sind positiv, viele aber auch sehr traurig.

Und aus irgendeinem Grund treffe ich immer wieder Leute, die entweder brutale Gewalt in der Familie erlebt haben oder bei denen irgendwer aus der Familie im Knast sitzt. Meistens sind die Frauen die Leidtragenden, andererseits muss man natürlich auch schauen, mit wem man sich einlässt.

Ich möchte diese Geschichten nicht vergessen und finde sie interessant, weil sie erstens zeigen, wie gut es mir und den meisten von uns eigentlich geht, und sie zeigen, wozu Menschen fähig sind in Extremsituationen. Daher schreibe ich hier die eindrücklichsten Geschichten nieder.

Sowjetskaja Gawan, grüngraue Einöde am Pazifik mit großem Gefängnis (nicht auf dem Bild)
Da ist zunächst mal Elisaweta, eine Akademikerin Ende 30 aus Irkutsk. Elisaweta hat bis vor wenigen Jahren mit ihrem Freund in einem anderen Land gelebt. Dann ist sie aus familiären Gründen zurück nach Russland gegangen, geplant war das zunächst vorübergehend. Doch dort hat sie dann gemerkt, dass das mit dem Freund nicht mehr funktioniert und hat sich getrennt. Der Freund hat dann kurzerhand aus Rache Nacktfotos von Elisaweta ins Internet gestellt, mit vollem Namen, Telefonnummer und E-Mail-Adresse. "Männer haben mir geschrieben, so habe ich das dann gemerkt." Heute hat sie eine komplizierte, lange E-Mail-Adresse, damit der Ex auf keinen Fall auf ihre neue Adresse kommen kann.

Damit nicht genug. Ich erzähle ihr zufällig von dem Schicksal des 16jährigen Mädchens, die ich im Zug kennengelernt habe, als sie mit Tante und Opa den Papa im Knast von Sowjetskaja Gawan besuchen fuhr. Da erwähnt Elisaweta zunächst, dass irgendein entfernter Verwandter auch 9 Tage im Knast ist, das bekäme man bei Mord oder Totschlag, hab vergessen, was genau. Dann sage ich: "Es ist irgendwie krass, so viele Leute, die ich hier kennenlerne, haben Verwandte oder Freunde im Gefängnis - das Mädchen war ja nur ein Beispiel von mehreren."

Sie: "Ja, mein Mann ist auch im Gefängnis. Das heißt - mein zukünftiger Mann."
Ich: "Wie lange sitzt er denn da schon?"
Sie: "Fünf Jahre. Er muss noch 2 Jahre sitzen, seine Strafe wurde um 2 Jahre reduziert." (die Gründe für die Linderung verschweige ich hier mal der Privatsphäre wegen).
Ich: "Fünf Jahre schon? Ich dachte, vor fünf Jahren warst du noch in [dem anderen Land] mit deinem früheren Freund?"
Sie: "Wir haben uns vor einem halben Jahr kennengelernt."
Ich: "Aber er ist doch schon seit fünf Jahren im Gefängnis? Wie habt ihr euch denn da kennengelernt?"
Sie: "Über eine Partnerbörse im Internet."
Ich: "Krass, ich hätte gar nicht gedacht, dass man hier im Gefängnis einfach so im Internet surfen und sogar Dating-Plattformen nutzen kann?"
Sie: "Ja, es geht nicht überall, aber dort schon."
Ich: "Und du hast gesagt, er sei dein zukünftiger Mann?"
Sie: "Ja. Wir werden bald heiraten, damit ich ihn besuchen kann. Besuch ist nur von engen Verwandten erlaubt."
Ich: "Weißt du, wieso er im Knast ist?"
Sie: "Er ist sehr stark. Als es eine Schlägerei gab, wollte er einen anderen verprügeln und hat ihn versehentlich totgeschlagen."

Mir bleibt die Sprache weg. Später erzählt sie mir noch, wie die Gefängniswachen manchmal die Geschenke, die sie ihm schickt, konfiszieren, manchmal aber auch nicht.

[sämtliche Namen und Ortschaften wurden verfremdet]

Donnerstag, 20. August 2015

Warten, warten, warten - ein Volkssport

(geschrieben am 19.8.2015) Guten Morgen, du dreckige, rostige, nach Kohl und Fleisch riechende Fähre von Wanino nach Cholmsk (Insel Sachalin). Ich konnte sogar einigermaßen schlafen trotz hartem Holzbett, auf dem man quasi ohne Matratze lag.

Mein Gastgeber in Sowjetskaja Gawan (direkt neben Wanino und trotzdem fährt man eine Stunde Bus von einer Stadt in die andere) hatte mir das reserviert, was er mangels Geld für sich selbst gebucht hätte: ein Bett in einer 8-Bett-Kajüte. Ich konnte das nach über einer Stunde in der Schlange am Bahnhof zum Glück noch mal in eine 2-Bett-Kajüte ändern lassen. Nun sitze ich hier auf diesen uralten schmierigen, weichen Ledersesseln und versuche, durch die vergilbten Fenster irgendwas draußen zu erkennen - aber gut, da ist nur Meer. Gegen 13-14 Uhr sollen wir da sein. Damit wären wir etwa 18 Stunden an Bord gewesen.

Ankunft in Cholmsk auf Sachalin

Cholmsk sieht aus, als sei es in den 70ern stehengeblieben

Noch mal Cholmsk. Hier steht heute der Zürcher Hafenkran :)

Im Hintergrund saftige grüne Berge und wie immer auf Sachalin Nebel




Abfahrt in Wanino - nach ewigen Wartereien und Kontrollen darf man endlich aus dem stickigen Bus und zur Fähre laufen,
Die Fähre ist hauptsächlich für Waggon- und Schwertransporte da, Menschen sind da vielleicht gerade mal 200 drauf gewesen. Kein Wunder, wenn man dafür erst mal 24 Stunden von Chabarowsk mit dem Zug an den Hafen fahren muss (und dann noch mal 18 Stunden auf der Fähre verbringt und am Ankunftsort noch mal 2 Stunden Bus fahren muss).

Waggon-Inspektion von oben (untendrunter fahren die Lastwagen und Bahnwaggons durch, bevor sie auf die Fähre dürfen).

Ausfahrt aus dem mit Rohmaterialien und Kränen übersäten (und wie ein Hochsicherheitstrakt gesicherten) Hafen  von Wanino.
Industrial Romanticism

The ferry windows hardly allow you to see through them anymore

The telephone of my dreams is on this ferry
Wahnsinn ist, wie unglaublich schwer es ist, auf diese eigentlich nicht so weit vom Festland entfernte Insel Sachalin zu kommen, wenn man nicht fliegen will: um per Zug und Fähre hierher zu kommen, braucht man von Khabarowsk aus, also von der nächsten großen Stadt aus, fast drei ganze Tage - und das für eine über Luftlinie gerade mal etwa 1.000 Kilometer lange Strecke (also einmal von Flensburg nach Berchtesgaden) ohne größere Berge.

Und es gibt nur eine einzige Fährverbindung auf diese riesige Insel! Verständlich, dass das früher so war, vor 1991, als die Insel noch eine Militärsperrzone war. Aber heute?

Das ist der Weg, wie ihn Google vorschlägt. 21 Stunden muss man mal 2,5 nehmen, um der Realität näherzukommen.
Zunächst 25 Stunden in einem Bummelzug bis nach Sowjetskaja Gavan/Wanino. Dort dann mit dem Bus wohl eine halbe Stunde zum Bahnhof (Ich habe mir die direkte Weiterfahrt und die damit verbundene Warterei und Steherei erspart und bin eine Nacht in Sowjetskaja Gavan bei Bekannten geblieben). Dann im Bahnhof warten, bis Tickets verkauft werden. In meinem Fall war das 14 Uhr, der Zug wäre um 9 Uhr angekommen. Dann mehr als eine Stunde in der Schlange stehen, während sich immer wieder andere Leute vordrängeln.

Blick von meinem "Schlaf-Regal" im "Platskartnij"-Waggon ("dritte Klasse")

Für die Kinder war es streckenweise nicht einfach, ruhig zu bleiben, wenn man 25 Stunden im Zug sitzen/liegen muss.
Warten in der schwer zu erkennenden Schlange am Hafen-Bahnhof von Wanino, in die sich immer wieder neue Leute reindrängeln.
So fühlt sich das dann an (aus einem Facebook-Chat mit einem Freund kopiert):

"I am on the ferry in sovyetskaya gavan/ Vanino waiting for departure

My whole day has consisted of waiting for this departure

It is still socialism here

Everything looks like it

And you have to wait forever for a simple thing like a ferry ride

First you don't even know if there will be a ferry.

You need to call in the day before though anyway and reserve a bed in a каюта.

The next day you need to call in at 9 in the morning to inform yourself if there will be a ferry today and when tickets will be sold.

If there is a ferry today, they tell you starting when you can buy the ticket at the vokzal (Bahnhof).

Today this was at 14:00, 3 hours before one was supposed to be able to get on the ferry

So I go to the vokzal at 13:50, there is already a huge line queuing up at the kassa

There I stand and wait for more than one hour and 15 minutes

Until it's finally my turn

Of course there is only one woman at the kassa so they can't process the people faster. When I finally get my turn, a man to the left tries to sneak in. People do this here all the time. It already happened to me at the vokzal in Khabarovsk. How kulturlos!

But I make sure he doesn't get my turn.

Whenever I am at the kassa somewhere, at least two other people lean in on me from the left and right. Нету личного пространства. They see my money, my passport and hear the whole conversation. It is very shameful for me, because they can hear I am a foreigner

After buying the ticket, they tell you to just sit in the vokzal hall and wait until some announcement of a "red bus to the parom" is made through loudspeakers

But no one tells you when this announcement will be. No one knows when exactly the ferry will actually leave. You just sit there and wait and hope that you didn't understand anything wrong. I asked several people many times because I was afraid to miss this красный автобус на паром (red bus to the ferry).

Two hours later, the announcement is made, but the loudspeakers are probably still from 1978, so I didn't understand anything. Even the Russians next to me understood only "avtobus".
But turns out it was that bus.

Standing in this packed bus for another 45 minutes and going through yet another control on a heavily guarded military-lookalike type of a harbor, we finally get to the parom. There we have to wait another 30 minutes, guarded by policemen. Finally we can board the ferry

Now it is leaving.

I hope it will be alright. I don't feel very safe here right now. Normally in Russia that is not much of a problem for me

But with so many soldiers, strange people etc. here it feels different."